Eine Flora für den Chiemgau

Die Region um den Chiemsee ist vielfältig. Kulturell reichhaltig (denken Sie nur an Schloss Herrenchiemsee), reizvoll in seinen Landschaftsbildern (Chiemsee und die Chiemgauer Alpen), voller Traditionen (kein Dorf ohne Trachtenverein und Maibaum), ausgestattet mit Jahrhunderte alten Kulturlandschaften (unter anderem die zahlreichen Almen) und begehrt bei Ausflüglern. Kurzum, eine Postkartenidylle. Bei den vielen Bildern, die über den Chiemgau in die Welt getragen werden, ist eines nur selten dabei: der Reichtum an Naturschätzen, der hier zu finden ist.
Wer genau hinsieht, wird jenseits der Klischeebilder auch die Brüche finden, die das moderne Leben mit sich bringt. Mancherorts wird der Maibaum längst mit der Seilwinde hochgezogen. Die Landschaft ist erschlossen, weil man vom Panorama allein nicht leben kann, sondern auch Arbeitsplätze und Wohnungen braucht. Und die Naturschätze hängen vielfach von einer funktionierenden kleinteiligen Landwirtschaft ab, die heute von mehreren Seiten unter Druck geraten ist. Das Ende der Landnutzung ist oft auch das Ende von Artenvielfalt. Zu starke Nutzung führt allerdings zum gleichen Schaden — Maßnahmen wollen deshalb fein austariert sein. Generell gilt jedoch: Wer der traditionellen kleinteiligen Landwirtschaft hilft, trägt zum Erhalt von Biodiversität bei.
Noch nie ist eine umfassende Darstellung mit Fotos und Verbreitungskarten aller Pflanzenarten erschienen, die im Chiemgau wachsen. Diese Lücke soll die „Flora des Chiemgaus“ schließen. Die Orchideen bilden den Auftakt.
Eine Flora, das sind alle Pflanzenarten in einem umgrenzten Gebiet. Der Chiemgau als historische Landschaft ist nicht eindeutig definiert, die Chiemgauer Alpen schon. Sie liegen zwischen Inn im Westen und Saalach im Osten und sind durch ein Quertal vom Kaisergebirge und den Loferer Steinbergen im Süden abgesetzt. Das Untersuchungsgebiet endet im Norden aus pragmatischen Gründen auf Höhe des Zusammenflusses von Traun und Alz bei Altenmarkt und umfasst im Osten auch einen Teil des Rupertiwinkels, also des Landstrichs westlich der Salzach, der bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch unter Herrschaft des Erzbistums Salzburg stand.
Pflanzenvorkommen orientieren sich aber nicht an politischen Grenzen. Darin liegt der vielleicht größte Unterschied zu anderen Regionalfloren: Es wird grenzübergreifend kartiert. Das Gebiet umfasst Anteile von Bayern, Salzburg und Tirol.
Jede Flora kann nur einen Zwischenstand wiedergeben, der schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung veraltet ist — die Pflanzenwelt wandelt sich beständig. Für dieses Buch gilt das besonders: Bei allen Bemühungen wurden noch nicht einmal annähernd alle Kartierfelder vom Autor aufgesucht. Bis zu einer mutmaßlich akzeptablen Vollständigkeit der Kartierung werden noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen.

Der Inn im Westen, die Salzach im Osten und das Kaisergebirge im Süden begrenzen das Untersuchungsgebiet. Im Norden endet es auf Höhe von Altenmarkt.